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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Amtsenthebung Präsident Fernando Lugo
von Maria Stella Cáceres/Hermann Schmitz
28.06.12     A+ | a-
„Geordnetes Amtsenthebungsverfahren“ oder „Parlamentarischer Putsch“?

Am Freitag, dem 22. Juni, 1 Uhr nachts, schreibt uns Maria Stella Cáceres de Almada, Direktorin des „Museo de las Memórias“ in Asunción, Ehefrau des Menschenrechtsaktivisten Martín Almada:

„Das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Lugo ging heute am 22.Juni um 17 Uhr zu Ende.
Mit 39 Stimmen für und 4 gegen die Absetzung. Schluss der Zirkusveranstaltung.
Vizepräsident Franco wartete schon in der Garage des Kongressgebäudes, um gleich im Anschluss an die Abstimmung seinen Amtseid als neuer Präsident zu schwören. Bislang kündigten nahezu alle südamerikanischen Länder an, die neue Regierung nicht anzuerkennen, einige Delegationen sind zu uns unterwegs, um dem Nachdruck zu verleihen.
Uns, den Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte, bleibt der Protest vor dem Kongressgebäude, zusammen mit anderen Oppositionsgruppen. Wir beten, dass dieser Umsturz nicht zu noch mehr Gewalt führt als schon bei der schrecklichen Auseinandersetzung zwischen Polizei und landlosen Campesinos im Distrikt Curuguaty am 15. Juni.
Waren die 17 Toten von Curuguaty nur Vorwand oder gar ein inszeniertes Geschehen, um Lugo aus dem Amt zu befördern? Wir werden es herausfinden.
Die paraguayische Demokratie, mit so viel  Mühen und Blutvergießen im Laufe der letzten 20 Jahre errungen, ist aufs höchste gefährdet.
Jetzt gerade höre ich, dass ein Polizeieinsatz gegen unsere Demonstranten auf dem Kongressplatz im Gange ist. Gegen Tausende, die aber ruhig bleiben. Jetzt herrschen die gefürchteten berittenen Einsatzkommandos und das Tränengas. Wir haben große Angst um unsere Leute auf der Plaza, werden weiter zu berichten versuchen.
Über diese Niederlage der Menschenrechte, über den Triumph der Ultrarechten....“

So weit die Mail unserer Freundin Maria Stella.
Da sich die Ereignisse sicher in den nächsten Stunden und Tagen überschlagen werden, soll hier ein Bericht folgen, der ein den Zusammenhang der Geschehnisse der letzten Zeit in Paraguay zu erläutern versucht.
Zunächst einer der Artikel zum „Massaker des 15. Juni“, das als Hauptgrund für Lugos Amtsenthebung angeführt wurde:

Landverteilung in Paraguay
Landlose Bauern greifen zu den Waffen
„Sie haben geschossen, um zu töten.“ Elf Bauern und acht Polzisten sterben bei einem Feuergefecht um die Besetzung eines Landguts. Eine angekündigte Reform kommt nicht voran.  von Jürgen Vogt

BUENOS AIRES taz |
Bei Auseinandersetzungen zwischen landlosen Bauern und der Polizei sind in Paraguay mindestens 19 Menschen ums Leben gekommen. Nach Angaben des Innenministeriums wurden am Freitag bei einem mehrere Stunden dauernden Feuergefecht elf Bauern und acht Polizisten getötet, über 80 Menschen zum Teil schwer verletzt. Es waren die blutigsten Auseinandersetzungen der letzten zwölf Jahre. Präsident Fernando Lugo entsandte umgehend Soldaten in die Region. Zudem entließ er seinen Innenminister Carlos Filizzola und den obersten Polizeichef Paulino Rojas.
Nach den Berichten der paraguayischen Tageszeitung ABC Color wurden die Polizisten von den bewaffneten Bauern angegriffen, als sie versuchten, diese aus einem 2.000 Hektar großen Schutzgebiet im Bezirk Canindeyñ, rund 380 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Asunción, zu vertreiben. In einem Fernsehinterview sagte der Polizeichef des Bezirks Canindeyu, Walter Gomez, die Bauern seien mit großkalibrigen Waffen wie M-16-Gewehren ausgerüstet. „Sie haben direkt geschossen, um zu töten“, so Gomez.
Bei den landlosen Bauern soll es sich um Angehörige der sogenannten Liga Nacional de Carperos handeln, die als radikale Organisation der paraguayischen Landlosenbewegung gilt. Carpero-Anführer José Rodríguez bestätigte die Beteiligung von Angehörigen seiner Organisation an der Besetzung. Das Blutbad könne jedoch von Teilen der Polizei selbst angezettelt worden sein, um den Tod der Landlosen rechtfertigen zu können, so Rodríguez gegenüber einem Fernsehsender. Rund 100 Kleinbauernfamilien waren Ende Mai auf das im Schutzgebiet liegende Landgut Campo Morombí eingedrungen. Der Eigentümer dieser Ländereien ist der frühere Senator Blas Riquelme.
Bauernorganisationen haben gegen den 83-jährigen Riquelme einen Prozess wegen der illegalen Aneignung staatlichen Ländereien gefordert. Die Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Verbrechen während der Diktatur von General Alfredo Stroessners (1954–1989) hat erklärt, dass von 1954 bis 2003 rund 7 Millionen Hektar Land an regimetreue Anhänger verteilt wurden.
Noch immer sind 80 Prozent des fruchtbaren Bodens im Besitz von knapp 2 Prozent der Bevölkerung. Die von Präsident Fernando Lugo versprochene Landreform kommt nicht voran. Fast täglich demonstrieren Kleinbauern und Landlose. José Rodríguez, der als enger Berater von Lugo gilt, hatte in der Vergangenheit mehrfach die Überprüfung und Reorganisation der ehemals staatlichen Ländereien verlangt. In vielen Fällen wisse der Staat gar nicht, wem das Land gehört, so Rodríguez. „Bei der Verwaltung der Ländereien herrscht das totale Chaos“, sagt Rodríguez.

taz vom 17. Juni 2012
Noch Anfang Juni besuchte ich unsere Partner von der Kooperative und Landwirtschaftsschule „San Juan“, seit beinahe 20 Jahren Projektpartner der Pro Paraguay Initiative. Schon Anfang der 90er Jahre unterstützten wir solidarisch ihren friedlichen Kampf um Land, der allerdings auf ihrer Seite viele Tote und Verletzte forderte.
Auch „unsere“ Campesinos waren Landbesetzer, die nur so ihrer gerechten Forderung auf ein Stück Land als  (Über-)lebensgrundlage Nachdruck verleihen konnten.
Letztlich geht alles, was sie erreicht haben, auf diesen am Ende erfolgreichen  Kampf zurück.
(Es sind nicht viele, die es  wie die mutigen Campesinos von Juan de Mena geschafft haben, dem paraguayischen Staat dieses verfassungsmäßige Recht abzutrotzen)


Das Ehepaar Magda und Claudino Giménez gehört zu einer Gruppe von 180 „Besetzern“, die unweit unserer Campesinokolonie ebenfalls mit friedlichen Mitteln um eigenes Land kämpfen wie andere bettelarme Kleinbauern an vielen Orten Paraguays. Land, das seit Jahren unbewirtschaftet brach liegt  -  ein kleiner Teil der elf Millionen Hektar staatlichen Territoriums, das unter Diktator Stroessner an Günstlinge verscherbelt wurde.
Zum bleibenden Schaden der über 40 %  auf dem Land lebenden Bevölkerung.
Auch nach dem Sturz des Diktators gab es bis auf den heutigen Tag keine Änderung,
Lugo hat sich ebenso wenig gegen die Landmafia durchsetzen können.)
Einer dieser Profiteure ist Blas Riquelme, der „Besitzer“ (sollte man ihn nicht eher „Besetzer“ nennen?) der Estancia von Curuguaty, Schauplatz der blutigen Auseinandersetzung, und ehemals Senator.
Und wie war es nun wirklich am 15. Juni in Curuguaty? Wer verantwortet letztlich die oben beschriebene grausame Bilanz?

Waren unter den Campesinos wirklich Guerrilleros des „Ejercito del Pueblo Paraguayo“, des „Paraguayischen Volksheeres“, von der revolutionären kolumbianischen FARC unterstützt?
Eher unwahrscheinlich, viele ernst zu nehmende Beobachter halten es nach wie vor für lächerlich, ein paar Desperados zu einer “terroristischen Guerrillatruppe“ aufzubauschen. (Siehe auch mein Bericht „Der Norden Paraguays  -  estancias und guerrilla“)

Der Polizeichef von Curuguaty: „Sie haben geschossen, um zu töten“?
Da gibt es mehrere Versionen, bei der „offiziellen“ ist eher Misstrauen angezeigt.
(Ob die unter Lugo dazu eingerichtete Untersuchungskommission unter einem Präsident Franco überparteilich arbeiten wird, darf bezweifelt werden.)

Hatten Lugo und seine linken Berater (z. B. Sixto Pereira!) ihre Hände im Spiel?
Das ist absurd, wird aber immer wieder unterstellt.
Jedenfalls war eine der fadenscheinigen „Anklagen“ im Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo, er trage die politische Verantwortung für die Toten.
Lohnender scheint die Frage „Wem nützt Curuguaty?“
Die Fakten sollten geprüft und keinesfalls die Toten für ideologische Kämpfe benutzt werden.

Der Jesuitenpriester Francisco Oliva, unser paraguayischer Partner, schreibt uns dazu:
„Als das Massaker in Curuguaty passierte, fragte ich mich unwillkürlich, wem es wohl Nutzen brächte. Denn diese Frage schien mir als der beste Weg um herauszufinden, wer das Geschehen geplant hatte.....Und dann, drei Tage später, kommt die Entscheidung für das Amtsenthebungsverfahren  -  alles gut vorbereitet (sogar schon auf dem Papier?)
Und alle liberalen Minister waren bereits am Morgen von ihren Ämtern in der Regierung Lugo zurück getreten......                                                                                    
Der Verdacht lässt mich nicht los, dass unter den politischen Nutznießern von Curuguaty sich die Anstifter des Massakers finden könnten, das unsere Gesellschaft auf den Kopf stellt. Die Politiker aber instrumentalisieren noch unseren tiefen Schmerz für ihre Zwecke..... Ich empfinde aber auch Empörung:
60 Jahre waren wir Geiseln einer Partei, der Colorados, die Hauptstütze der Diktatur war.
Am 20. April 2008 kam dann endlich der Beginn eines Wechsels, aber nach diesem Verfahren gegen den gewählten Präsidenten könnte all das Erreichte wieder auf dem Spiel stehen .......
Keinen besseren Moment konnten die Liberalen finden, Lugo los zu werden, ein ungeheuer Mangel an politischer Ethik.....Die Anschuldigungen gegen Lugo fallen nur auf die Kläger zurück, sind sie doch  die in dieser Hinsicht die wahren Meister...“ So weit Padre Oliva, Armenpriester und heller politischer Kopf.

Dass nur 4 von 43 Senatoren gegen Lugos Absetzung votierten (u. a. natürlich  Sixto Pereira) zeigt bis hin zu diesem dramatischen Finale  die Machtverteilung im paraguayischen Senat, die für Fernando Lugo allzu oft auf eine faktische Unregierbarkeit hinaus lief.
Gemessen an dieser fatalen politischen Konstellation ist eher erstaunlich, was an Reformen und Verbesserungen für die Bürger erreicht wurde.
In diesem Gremium konnte von „Volk“svertretung nie die Rede sein, sind doch fast alle Mitglieder Profiteure dieser faktischen politischen Lähmung gewesen (und werden jetzt wieder profitieren „wie in alten Zeiten“)  -  erst recht die Besitzer großer Ländereien hatten Lugo längst auf der Abschussliste.
Ihre destruktive Vetopolitik, aber auch die Unentschlossenheit Lugos, sein oft allzu großes Entgegenkommen  ihnen gegenüber, haben u. a. dazu geführt, dass die Landreform, eines der dringendsten Projekte, das Lugo auf seine Fahnen geschrieben hatte, in den unendlichen Weiten des östlichen Sojagürtels versandet ist.

Lugo nennt das Absetzungsverfahren einen „Golpe de Estado Express“, einen Blitzstaatsstreich, oder einen „parlamentarischen Putsch“  -  beides ist korrekt.

Denn es lief in der Tat wie geschmiert, Lugos „Verteidigung“ durch zwei Fürsprecher und seine eigenen Einlassungen vor dem Senat waren reine Formsache, schon am späten Abend des 22. Juni betete der neue Amtschef  Federico Franco seine leeren Versprechungen runter.
Zum Zeitpunkt der Neuwahlen am 15. Mai 2013 endet sein Mandat automatisch, er will dann nicht nur seine  Amtsschärpe übergeben (zum Zeichen keiner weiteren Präsidentschaftsambitionen), sondern auch ein „geordnetes Staatswesen“.

Franco war mit seiner „radikal-liberalen authentischen Partei“  -  ja, so heißen diese Pseudoliberalen wirklich  -  der wichtigste Bündnispartner Lugos bei dessen Wahl 2008, allerdings konnte man der demonstrativ gezeigten Einigkeit schon von Beginn an nicht trauen. Daraus wurde dann ein solides Zerwürfnis.
Unser langjähriger Projektpartner Sixto Pereira, Sohn eines Campesino, schon immer ideales linkes Feindbild der paraguayischen Rechten und seit April des Jahres auch noch Präsidentschaftskandidat, erklärte schon vor dem Verfahren gegen seinen engen politischen Freund Lugo, dass dieser „sich gehorsam den Gesetzen beugen und das Ergebnis akzeptieren werde“  - allerdings werde er als Senator nicht an der „Rauswurfaktion“ teilnehmen, da „schon alles ausgeklüngelt“ sei.

Im Mai vor Ort von uns nach seinen Wahlaussichten befragt, gab er sich optimistisch und nicht nur als Kampfkandidat seiner Partei „Frente Guazú“ (Breite Front). Jetzt haben sich auch für ihn die politischen Koordinaten gründlich geändert, und was das für seine Kandidatur bedeutet (wenn er sie denn aufrecht erhält), steht in den Sternen ......
Sowohl dieses Sichfügen des ambitionierten Senators wie auch  die umstandslose Anpassung des „abgeurteilten“ Präsidenten an die Realitäten verwundern doch etwas. Genau so, wie man sich nach der  leitenden Strategie der „Richter“ um den neuen Präsidenten Franco fragen kann, bleibt auch das Verhalten der Verlierer im Dunkeln.                                                                                      
In Asunción tauchte der abgesetzte Präsident Lugo in einer ihn stützenden Kundgebung auf und erklärte sein Nachgeben mit der Absicht, so zur Vermeidung von Gewalt beizutragen.
Er sei nun wieder der Bürger auf der Straße, der gegen Missstände protestiert.
„Auf friedliche Weise wird am 21. April 2013 (Wahltermin) der demokratische Prozess mit noch mehr Anstrengung fortgesetzt.  Wenn ich mich hier eingliedere bei dieser pazifistischen Kundgebung, dann geht es nicht um Fernando Lugo, denn abgesetzt haben sie in Wirklichkeit die Demokratie, die Teilhabe des Volkes, sie haben den Willen der Menschen nicht geachtet. Das ist reine Antidemokratie.“

In den Nachrichten zum Thema von Sonntag, 24. Juni, ist zu erfahren, dass die Regierung Mujica von Uruguay auf rasche Neuwahlen im Nachbarland drängt angesichts eines Vorgehens gegen Lugo, welches „wichtige Garantien, wie sie zu einem fairen Verfahren gehören, vermissen lässt.“
Er kritisiert vor allem, dass in aller Hast vorgegangen wurde und noch bevor die Ereignisse in Curuguaty annähernd geklärt seien....
Unüberhörbar ist die Warnung des uruguayischen Kanzlers Almagro an den neuen Präsidenten Federico Franco, die „Normen unseres gemeinsamen MERCOSUR“ einzuhalten.
Uruguay verschärft wenig später noch einmal seine Reaktion mit dem Bestellen seines Botschafters zu Beratungen nach Montevideo, da Paraguay „fundamentale demokratische Gepflogenheiten missachtet habe“.Die argentinische Regierung hat aus Protest ihren Botschafter aus Paraguay abgezogen.

Der deutsche Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, erfahren im Zerschlagen politischen Porzellans, hat aus Unkenntnis, eher aber wohl aus Berechnung, seinen Gastgeber Federico Franco als gleichgesinnten Liberalen vereinnahmt, als er ihm bei seinem Besuch  -  nur einen Tag nach dem äußerst illiberalen Vorgehen gegen Lugo  -  ein „Verfahren nach den Regeln der Verfassung“ bescheinigte.
Der rechtskonservative Franco wird sich nicht wenig gefreut haben, und Niebel muss sich nicht wundern, dass sein diplomatisches Geschick dazu führte, dass ab dieser seiner Äußerung  Deutschland als erster Staat galt, der die Hauruckregierung Paraguays anerkennt. Neben dem Vatikan. Und gegen fast alle Staaten Südamerikas. Auch die interamerikanische Menschenrechtskommission sieht eine „Gefährdung des Rechtsstaates“, einen Staatschef binnen 24 Stunden abzusetzen, ohne ihm die Möglichkeit zur Verteidigung zu geben, sei eine „Parodie der Justiz und eine Verletzung der Menschenrechte“.
Die „linken Länder“ des Kontinents sprachen von einem „getarnten Staatsstreich“.

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